Die Business-Lounge der Zukunft: Warum der Mercedes EQE radikal mit der E-Klasse-Tradition bricht

Seit Jahrzehnten ist die E-Klasse das Rückgrat von Mercedes-Benz. Sie ist das Auto für Taxifahrer, Abteilungsleiter und Vielfahrer. Mit dem EQE transferieren die Schwaben diesen Anspruch ins Elektrozeitalter. Doch wer einen elektrifizierten W213 erwartet, wird überrascht: Der EQE ist keine E-Klasse mit Batterie, sondern eine geschrumpfte S-Klasse (EQS). Er basiert auf der reinen Elektro-Plattform EVA2. Das Ergebnis ist ein Auto, das technisch brilliert, aber beim klassischen E-Klasse-Publikum auch für Stirnrunzeln sorgt.

Das Design: „One Bow“ oder Seifenstück?

Optisch polarisiert der EQE wie kaum ein anderer Mercedes. Die Designer ordneten fast alles der Aerodynamik unter.

  • Die Form: Der EQE folgt dem „One-Bow-Design“ – eine einzige, gespannte Bogenlinie von der Front bis zum Heck. Das sorgt für einen extrem niedrigen Luftwiderstand (cw-Wert), was wiederum die Reichweite auf der Autobahn erhöht.
  • Die Kritik: Böse Zungen nennen es „Seifenstück-Optik“. Dem EQE fehlt die stattliche Motorhaube und die repräsentative Kante einer klassischen Limousine.
  • Das Kofferraum-Problem: Das größte Opfer des Designs ist das Heck. Obwohl der EQE wie ein Fließheck aussieht, hat er nur eine kleine, klassische Kofferraumklappe (wie eine Stufenheck-Limousine). Die Ladeöffnung ist schmal, das Volumen mit 430 Litern für ein 5-Meter-Auto fast schon mickrig. Ein Tesla Model S oder Porsche Taycan laden hier deutlich besser.

Der Innenraum: Kokon statt Ballsaal

Steigt man ein, erlebt man den „Baby-EQS“.

  • Der Hyperscreen: Optional erstreckt sich eine riesige Glasfläche über die gesamte Fahrzeugbreite (drei Bildschirme unter einem Glas). Das ist grafisch und technologisch das Maß aller Dinge.
  • Das Raumgefühl: Hier scheiden sich die Geister. Durch die hohe Gürtellinie, das massive Armaturenbrett und die flache Scheibe fühlt man sich wie in einem Kokon eingemauert. Es ist gemütlich und sicher, aber nicht luftig. Auf der Rückbank wird es für Personen über 1,85 Meter aufgrund der abfallenden Dachlinie eng am Kopf – untypisch für eine „E-Klasse“.

Fahrverhalten: Der Weltmeister der Stille

Sobald der EQE rollt, verstummt die Kritik. Fahrdynamisch ist er ein Meisterwerk.

  • Geräuschkomfort: Es ist eines der leisesten Autos der Welt. Wind- und Abrollgeräusche sind fast vollständig eliminiert.
  • Hinterachslenkung: Ein absolutes „Muss“ in der Aufpreisliste. Sie schlägt die Hinterräder um bis zu 10 Grad ein. Damit wendet der 5-Meter-Koloss so wendig wie eine A-Klasse. Ohne dieses Extra fühlt sich der Wagen in Parkhäusern sperrig an.
  • Reichweite: Der EQE 350+ ist der Dauerläufer. Dank der guten Aerodynamik und des riesigen Akkus (ca. 90 kWh netto) sind 500 bis 600 Kilometer echte Reichweite möglich. Damit ist er vollkommen langstreckentauglich.

Die AMG-Versionen: Schnell, aber emotionslos?

Natürlich gibt es den EQE auch aus Affalterbach (EQE 43 und 53).

  • Die Leistung: Mit bis zu 687 PS (im EQE 53 mit Dynamic Plus Paket) katapultiert sich der 2,5-Tonnen-Wagen in Sportwagen-Zeiten nach vorne.
  • Das Problem: Er kaschiert sein Gewicht gut, aber nicht perfekt. Auf der Rennstrecke fressen die Reifen und Bremsen schnell unter der Last. Für den Alltag ist bereits der normale EQE 350 oder 500 mehr als ausreichend motorisiert.

Das bessere Auto für den Fahrer, das schlechtere für das Gepäck

Der Mercedes EQE ist die ultimative Reiselimousine für zwei Personen. Wer beruflich 50.000 Kilometer im Jahr auf der Autobahn abspult, findet aktuell kaum ein entspannteres Fahrzeug. Er gleitet besser als jeder Tesla und wirkt hochwertiger verarbeitet. Wer jedoch die klassischen E-Klasse-Tugenden sucht (Taxi-Platz im Fond, riesiger Kofferraum für den Familienurlaub, repräsentativer Chrom-Grill), wird mit der Limousine nicht glücklich und muss entweder zum EQE SUV greifen – oder bei der verbrennungsmotorischen E-Klasse bleiben.